Der magische Strich. Keine Kunst ist authentischer als Zeichnungen. Früher nur Nebenprodukt, ist die Zeichnungen der Malerei heute ebenbürtig. Ausserdem sind Zeichnungen noch halbwegs leistbar.
Die Kunst tobt sich zurzeit in Superlativen aus: größer, schriller, glänzender und vor allem teurer, teurer und noch teurer scheint es heute sein zu müssen, blickt man in Richtung der marktführenden Kunstmesse “Art Basel”, der New Yorker Contemporary Auktionen und in diverse, vor allem amerikanische Hochglanz-Kunstmagazine. Je glatter die technologisierten Oberlächen aber werden, vor allem nach dem Fotografie-Boom der Neunziger, desto stärker scheint sich auch wieder die Sehnsucht nach der guten alten Handschrift des Künstlers zu regen. Am prestigeträchtisten ist da immer noch die Malerei, die derzeit den Markt dominiert. Vor allem, wenn sie dem neureichn US-Sammler noch ein wenig Patina verspricht, ein wenig schickes “back to the roots”, wie es die “Neue Leipziger Schule” mit ihren tristen, leicht surrealen Interieurs und Landschften tut – die Sammlung Essel gibt darüber gerade den ersten Überblick in Österreich.
Nichts aber ist näher am Puls des Künstlers, nichts verspricht dem Außenstehenden mehr Authentizität als die Zeichnung, der magische Strich, der aus nichts plötzlich alles schffen kann. Wenn das nicht sexy klingt … Wer jetzt trotzdem gähnt und an vergilbte Naturstudien denkt, hat wirklich keine Ahnung. Denn brav im staubigen Eck hängt die Zeichnung schon lange nicht mehr. Längst hat sie sich emanzipiert vom strengen Schwarzweiß und von traditionellen kleinen Kabinettstück-Format. Sie steht immer öfter auch in ihren Ausmaßen den Leinwänden um nichts nach, ja, überzieht wie im Fall Constantin Luser sogar flächendeckend ganze Wände und Häuser. Man braucht, um diese Entwicklung zu beobachten, nur die Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in der Albertina Revue passieren lassen – etwa Robert Longos monumentalen Kohlestift-Freud-Zyklus, präsentiert zur Eröffnung des Hauses. Unvergesslich. Die total gehypte Berlin-Biennale setzte heuer eine neuen Trend mit viel Depression und viel Zeichnung. Und das NÖ Landesmuseum deutet mit seiner Ausstellung “Gezeichnet” (bis 27.8.) der jüngsten Zeichnungs-Ankäufe noch ein weiteres, nicht unwesentliches Merkmal dieser Gattung an: Sie ist auch bei schmälerer Börse noch relativ leistbar. Was noch lange nicht billig heißt. Aber billig ist heute in der Kunst sowieso gar nichts. Zur Orientierung hier ein subjektiver, aber immerhin generationsübergreifender Einblick in die einheimischen Zeichenstuben:
Anna Schreger. “Fingern” hieß Anna Schregers letzte Ausstellung. Und das noch dazu im Wiener Off-Space “Swingr”. Wer da jetzt unanständig denkt, ist selber schuld. Lustvoll waren die Zeichnungen der 1977 geborenen Wienerin aber allemal: Zu sehen gab es in strengem, fast comicshaftem Stil Hände in Gummihandschuhen, wie sie mehr oder weniger erkennbare Gegenstände befühlen und betasten. Filzstift, Tusche und ja keine Farbe, sind die Werkstoffe der als manisch verschrieenen Zeichnerin. Bereits mit ihrer Diplomarbeit in der Meisterklasse Gunter Damischs an der Akademie, einer sehr dichten Serie gewundener Tücher, die man ebenso gut als Muskel- oder Haar-Studien hätte lesen können, erregte sie in der Wiener Galerie Frey Aufsehen. Schregers Zeichnungen rangieren hier zwischen 440 und 2500 Euro.
(…) > Constantin Luser, Sonja Gangl, Werner Reiterer, Adriana Czernin, Hauenschild Ritter
Almuth Spiegler, Die Presse (Schaufenster), Juli 2006.