Manufaktur der Linie

Anna Schreger befragt die Parameter des Mediums Zeichnung immer wieder neu, testet die Grenzen der Zeichnung aus und dekliniert ihre unterschiedlichsten Spielarten durch, stets auf der Suche nach Möglichkeiten, deren Feld zu erweitern. Mit der ortsspezifischen Installation Weichteileverdichten 1 erobern ihre Zeichnungen den Raum: Auf einer Breite von über 13 Metern erstrecken sich Stoffhaufen und Materialstapel in unzähligen Variationen, allerlei Materialien, wie sie in der Möbelmanufaktur Wittmann verarbeitet werden. Die Künstlerin hat sich dort genau umgesehen und perfekte Motive für ihre Zeichnungen gefunden. Schicht auf Schicht, Stapel auf Stapel aus Textilstoffen, Lederstücken, Polsterfüllungen, Kissen, Schaumstoffstücken reihen sich an- und türmen sich übereinander entlang der Glasfront des Schauraums.

Die auf Umrisslinien reduzierten Zeichnungen spielen mit gewohnt präziser Linienführung unterschiedlichste Varianten textiler und amorpher Formen durch, wobei die serielle Anordnung zu einer Verdichtung führt, die die Arbeit fast ornamental erscheinen lässt.

 

Am Anfang des Arbeitsprozesses standen kleinformatige Zeichnungen, die die Künstlerin um ein vielfaches vergrößert und mithilfe eines speziellen Laserdruck-Verfahrens auf transparenter Folie auf Glas übertragen hat. Mit der Verschiebung der Proportionen hin zum Monumentalen steigert sich auch der Grad der Abstraktion – eine simple aber effektvolle Geste. Durch ihre Positionierung an der Schwelle von Innen- und Außenraum generieren die Zeichnungen auf Glas verblüffende Ansichten je nach Blickrichtung: Von Außen nach Innen gewendet überlagern und verdoppeln Schregers Anhäufungen die im Schauraum befindlichen Möbel; Schnell ergibt sich die Verwandtschaft zwischen Dargestelltem und den Materialien der Möbelwerkstätten. Der Blick von Innen nach Außen gerichtet offenbart völlig neue, verblüffende und spielerische Motivkombinationen. Da sind die überdimensionierten Stoffschichtungen auf einmal im urbanen Raum positioniert, „liegen“ auf der Straße, dem Gehsteig oder vor einer Hecke zwischen dem vorbeirauschenden Verkehr. Im Dialog mit dem Außen werden sie mit neuen Bedeutungen aufgeladen. Das erzielt zugleich irritierende wie überraschende Effekte und öffnet einen Raum voller Assoziationen.

 

Fast wie Handlungsanweisungen könnte man die Motive des zweiten Teils der Installation im Pavillon des Wittmann Schauraums lesen, Weichteileverdichten 2. Hier kommen die in Anna Schregers Werk zentralen Körper wieder ins Spiel, die die „Weichteilverdichtungen“ benützen, auf Ihnen zu sitzen, liegen, hocken oder lehnen kommen. Die Künstlerin hat Modelle in entsprechenden Posen inszeniert und von der Fotografin Chloe Potter ablichten lassen. Die lebensgroßen Fotografien wurden schließlich auf die Spitzen der kleinen Berge kollagiert. Wenn auch die Modelle einen etwas introvertierten, passiven oder „deplatzierten“ Eindruck machen, so vermitteln sie dennoch ein Gefühl von Entspannung und Bequemlichkeit. Solche Gegensätzlichkeiten sind durchaus typisch für Anna Schregers Arbeiten und drücken sich nicht zuletzt in ihren Titeln aus: Lustvolle und zugleich nüchterne Wortkombinationen, die meist trocken deskriptiv, aber mit durchaus zweideutigen Anklängen Handlungen und Aktionen beschreiben, wie etwa Intimfries, 13 Handlungen, Abhandlung, Eingreifen, Handzahm, Weichteileverdichten oder Fingern.

 

Anna Schreger testet nicht nur immer neue installative Präsentationsformen – allein die Bandbreite in dieser Ausstellung reicht von kleinformatigen Zeichnungen, über Scherenschnitte und Diaprojektionen bis hin zu überlebensgroßen Drucken auf Papier wie Folien auf Glas – und spielt mit Dimensionen und den daraus resultierenden Abstraktionsgraden, sondern sie arbeitet sich auch buchstäblich an ihren Motiven ab, was sich meist in seriellen Zusammenstellungen manifestiert. Bei ihr liegt das Augenmerk nie auf dem isolierten Motiv. Sie erforscht, begreift, erarbeitet es in unzähligen Variationen, exerziert es mittels zeichnerischer Techniken durch. Bei der Serie Fingern zum Beispiel sind es nahezu manische, animierte Hände in Gummihandschuhen, die ständig in Bewegung sind und tasten, testen, fühlen, begreifen, spielen, kneten, drehen, prüfen, treiben, ziehen oder zupfen.

Bei der Kollageserie Therapietankstelle begegnet man dysfunktionalen Werkzeugen, pseudo-medizinischen Instrumenten oder halb mechanisch-organischen Apparaturen – vertrauten Alltagsgegenständen durchaus ähnlich –, deren „Praktikabilität“ und Handhabung akribisch an diversen Körperteilen vorgeführt wird. Dabei lösen sie eine ganze Kette von Assoziationen aus, klinische ebenso wie sexuelle, oder von Anklängen an Körperhygiene und Fitnesswahn.

 

Das Medium Zeichnung gilt nicht nur als die unmittelbarste Form der Kunst, auch die Hand als ihr Motiv markiert die Urszene des Zeichnens und somit vermutlich auch den Beginn der künstlerischen Tätigkeit des Menschen: Nämlich in Form des Abdrucks oder der Kontur des Schattens der menschlichen Hand.

Auch in Anna Schregers Arbeiten spielt das Motiv der Hand eine zentrale Rolle, vor allem die aktive, „zeigende“ Hand. Sie verdeutlicht nicht nur Taktilität und die enge Anbindung des Zeichnens an den Körper und seine Bewegungen, vielmehr ist sie buchstäblich eine Spur des zeichnenden Körpers der Künstlerin. Die gezeichnete, zeigende Hand verweist somit immer auch auf die zeichnende Hand. Und Anna Schregers zeichnende Hand zieht uns wiederum unweigerlich in eine Bildwelt, die zum Hin- und Begreifen einlädt.

 

Georgia Holz, Kuratorin Wien / September 2011.