link: Von Zehenbürsten und Brustkitzlern, Wiener Zeitung, 25.3.2008

Anna Schregers zwiefaltige Therapietankstelle

Über die Sichtbarkeit hinaus bringen uns die Zeichnungen und Videoprojektionen von Anna Schreger dem taktilen Sinn näher, obwohl sie nicht die Hand über das Auge stellt. Mit der Sprache sind drei Sinne in ihren Werken präsent. Die Verlockung als Gefühl des Begehrens zu „begreifen“ geht vom geistigen Konzept aus und der Wille macht klar, dass auch Sprache doppelbödige Eingriffe kennt. Humorvoll wird da oft etwas buchstäblich oder wörtlich auf das manische Zeichnen übertragen, gleichzeitig gibt es Anspielungen auf Fetischismus, Werbestrategien und Fitnesswahn.
Die etwa hundert an die Wand gehängten Zeichnungen fiktiver Werkzeuge in schwarzem Buntstift erinnern mehr an die Kuriositäten einer wissenschaftlichen Kunst- und Wunderkammer des Manierismus als an reale Vorbilder aus dem Baumarkt. Zumindest Teile dieser, trotz ihrer Linearität, plastisch und geheimnisvoll wirkenden Objekte imitieren Alltagsgegenstände wie Föhn, Feile, Rasierer, Bohrer oder Mixer und daraus hervorquellende textile oder tierisch anmutende Wucherungen schaffen absurde Kombinationen. Zusätzlich verfremdet wird durch irreale Größenverhältnisse.
Eine zweite Serie von hundert Zeichnungen verbindet die Werkzeuge mit Körperteilen wie ein Archiv von Gebrauchsanweisungen – durch austauschbare Bewegungen lässt sich der Zehenberührer, Brustkitzler, Beinquetscher, Halsmassierer, Haarstreichler oder die Armbürste ins Absurde und Bedrohliche steigern. Diese Ars-combinatoria wird an die Wand projiziert, womit die Therapie schon durch Licht und den veränderten Zeitfaktor des Mediums stärker wahrgenommen wird. Ein feinsinniger Forscherdrang paart sich in allen Planungsdetails mit der Demonstration haptisch empfundener Lustgefühle, nüchterne Gebrauchsanweisung wird auch zur pseudomedizinischen Inszenierung. Damit werden die performativen Elemente von Schregers Arbeit wie die Tastobjekte aus Kunstleder in Erinnerung gerufen, die zuletzt in der Kunsthalle Krems präsentiert wurden.
Die Pfeiler in der Startgalerie des MUSA mutieren zu „Zapfsäulen“ für die Besucher: vierseitig liegen auf Borden zu entnehmende Kopien der beiden Zeichenserien auf. Zusätzlich vierteilig in der Körper-Anwendungsserie getrennt in die Kopfregion, Arme und Hände, den Rumpf und zuletzt Beine und Füße, lässt sich der jeweilige Fetischismus auskosten Damit agierten schon Louise Bourgeois oder Rosemarie Trockel – auf die Sammelleidenschaft erweitert, ergibt sich eine seit Joseph Beuys zwar seltene, Betrachter ganzheitlich animierende Strategie.

Brigitte Borchhardt-Birbaumer, zur Arbeit Therapietankstelle, Jänner 2008, Ausstellungsfolder des MUSA (Infoblatt Nr. 178/2008).